Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition) by Sawatzki Andrea

Tief durchatmen, die Familie kommt: Roman (German Edition) by Sawatzki Andrea

Autor:Sawatzki, Andrea [Sawatzki, Andrea]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Piper ebooks
veröffentlicht: 2013-10-14T22:00:00+00:00


20.

Kapitel

Sie werden jetzt vielleicht denken, dass da nicht mehr viel zu machen war. Dass wir einfach nicht zusammenpassen. Ich habe Gerald wirklich lieb. Aber wenn man so lange wie wir zusammen ist, schleifen sich manche Dinge ein, und man bekommt die Kerben nicht mehr raus. Sie werden immer tiefer, und irgendwann findet man sich einfach damit ab.

Gerald war der erste und einzige Mann in meinem Leben und ich die einzige Frau für ihn. Es ist nicht so, dass wir uns irgendwann vor Leidenschaft nacheinander verzehrt hätten. Aber wir kommen beide aus einer Kleinstadt, und da war die Auswahl überschaubar. Ich habe schon hier und da Kompromisse gemacht, wie den mit der Schlagermusik, das hab ich ja schon erwähnt. Und ich finde mich damit ab, dass ich meinen Beruf für die Kinder aufgegeben habe und jetzt angeblich zu alt bin, um irgendwo noch Arbeit zu finden. Ich würde wirklich gern was arbeiten. Man wird immer enger im Kopf, und die Sehnsucht nach neuen Erfahrungen nimmt zu. Vielleicht ist das auch einfach die Midlife-Crisis und ganz normal in meinem Alter. Aber mich macht es traurig, weil ich weiß, dass sich nichts mehr groß in meinem Leben ändern wird.

Ich sehe es direkt vor mir: Irgendwann sind die Kinder aus dem Haus, und dann wird es ganz furchtbar. Dann sitze ich tagaus, tagein mit Gerald im Wohnzimmer und gucke ihm beim Zeitunglesen zu. Und höre Schlagermusik. Schrecklich. Ich sitze eingeklemmt in dem einzigen freien Sessel und versuche über die riesigen Zeitungsberge zu gucken, die sich links und rechts von mir auftürmen. Wir sprechen nicht mehr miteinander, denn Gerald ist zu konzentriert auf seine Lektüre. Ab und zu habe ich Ausgang, dann besuche ich die Kinder und passe auf die Enkel auf.

Düstere Aussichten.

Ich hätte so wahnsinnig gern eine glückliche, fröhliche Familie, in der alle zusammenhalten. Aber irgendwie funktioniert das bei uns nicht. Obwohl ich alle Zeit der Welt hätte, überfordert mich schon die bloße Kindererziehung. Wahrscheinlich ist das die Angst vor dem Scheitern. Dass man also deswegen ganz viele Sachen gar nicht mehr anpackt im Leben, weil man schon vorher denkt, dass es nicht klappt. Deswegen schaffe ich es ja auch nicht, die Familie zu Weihnachten auszuladen. Ab und zu versuche ich gegenzusteuern, wie zum Beispiel, dass ich die Enten kaufe, obwohl mir alle davon abgeraten haben.

Aber dann denke ich, man muss den Kindern doch ein Vorbild sein. Das sind so die Sachen, die mich nächtelang beschäftigen. Ich mache dann kein Auge zu. Und am nächsten Morgen bin ich müde und habe schlechte Laune, wenn meine Familie beim Frühstückstisch sagt: Mama, stell dich doch nicht so an, du kannst dich doch gleich wieder ins Bett legen. Du bist die Einzige hier, die nicht arbeiten muss.



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